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Dienstag

Makrele schwimmt - 6. Ausgabe

Ein Interviewtermin, ein Missverständnis und Wilhelmsburg...

von Julia

14.03. 10 Uhr - Ein Tag nach "Rollmopska".

Nachdem wir einen Tag zuvor beim Freizeitklub unsere Spirituosen-Erfindung "Rollmopska" im Selbstversuch kennengelernt hatten, ist mein Morgen etwas zäh. Doch meine Disziplin treibt mich aus den Federn; denn es liegt etwas Wichtiges an. Immerhin hat sich Patrick mehrere Wochen um einen Interviewtermin mit Hermann Schreiber bemüht. 78 Jahre, mehrfacher Buchautor, Biograf historischer Persönlichkeiten wie z.B. Bundespräsident Gustav Heinemann oder Willi Brandt.

Auf der Medienliste von Herrn Schreiber stehen Namen wie Spiegel, Geo, Abendblatt und die NDR-Talkshow. Im Abendblatt erscheint nach wie vor eine wöchentliche Kolumne, die sich mit der deutschen Sprache beschäftigt und die ich selbst gern lese. Ich bin nervös; denn der Termin findet bei Herrn Schreiber Zuhause statt.

Während ich im Badezimmer versuche, mein "Rollmopska"-geschädigtes Antlitz zu restaurieren, denke ich über mögliche Fragen nach.

Die Türklingel geht, Patrick steht vor der Tür, um mich anzuholen. Das Navigationsgerät ist eingeschaltet (ich habe die Abkürzung "Navi" vermieden; denn das hätte Herr Schreiber nun wieder zu recht kritisiert).

"Wohin müssen wir denn?" – "Sönke hat gestern nochmal angerufen. Die Straße liegt in Wilhelmsburg." – "Mmh. Wilhelmsburg..." Ich schaue erneut in die Kurzbiografie. Ich hätte mir seinen Wohnort in den Elbvororten oder an der Alster vorgestellt.

Nun gut, so gut kenne ich mich da nicht aus. Vielleicht gibt es in Wilhelmsburg eine unbekannte Villengegend...

Wir fahren also los.

Ich lese weiterhin die biografischen Daten und schreibe ein paar Fragen auf.

Wilhelmsburg gehört jetzt zum Bezirk Mitte. Als wir in Wilhelmsburg ankommen, spüre ich sehr deutliche Zweifel in mir aufsteigen. Patrick sagt wohl zu seiner und zu meiner Beruhigung: "Wilhelmsburg gehört jetzt auch zum Bezirk Mitte." – "Ach so – na dann ist ja gut."

Wir fahren durch das kleine Areal von Einkaufstraßen. "KIK-Textildiscount". Damen-Daunen- Jacken für Euro 2,99.

Wir sind früh dran und bestellen daher zwei Straßen vor unserem vermeintlichen Ziel im "Back-Shop" einen Kaffee. Der kommt aus der Thermoskanne und schmeckt fürchterlich. Ein Großteil der Gäste spricht polnisch. Wir lassen den Kaffee stehen und bringen den Rest der Strecke hinter uns.

Ich kann nicht anders, als die Richtigkeit unseres Plans in Zweifel zu ziehen. Patrick scheint es nicht anders zu gehen; denn wie im Sinne der besten Autosuggestion höre ich ihn sagen: "Vielleicht hat er sich einfach hierher zurückgezogen."

Mit Blick auf den verrosteten Kinderspielplatz und die Fensteranmutungen mit Wolkenstore, sagt jede Gehirnzelle: "NEIN!".

Patrick gibt noch nicht auf.

Der Name auf dem Klingelschild lautet nicht 'Schreiber' wohl aber 'Schrieber'. "Vielleicht ist das sein Deckname?" Ich platze: "Wahrscheinlich ja. Denn er ist ja Pensionär und da wird aus Schreiber dann logischerweise Schrieber, oder wie?"

Wir rufen bei Sönke in der Redaktion an. Keine Minute später der Rückruf. Leichte akustische Mißverständnisse hatten uns also nach Wilhelmsburg geführt. Die richtige Adresse, die annähernd gleich klingt, befindet sich in Uhlenhorst.

"Ich habe gesagt, ihr steht im Stau", berichtet Sönke von seiner Notlüge.

Damit kämpfend, die Geschwindigkeitsbegrenzungen nicht zu überschreiten, rasen wir pöbelnd und lachend an die Alster. Wir kommen 20 Minuten zu spät.


Der Empfang ist entsprechend unterkühlt. Ich komme mir vor, wie die Vertreterin einer Schülerzeitung. Im Vergleich zu der Berufserfahrung unseres Gesprächspartners ist es wohl sogar so.

Herr Schreiber, Sie beschäftigen sich in Ihrer Abendblatt-Kolumne ab und zu mit dem Internet, eMails und mehr. Begleitet die Technologie Sie auch in Ihrem Alltag?
"Mit der Technologie kenne ich mich kaum aus. Ich beschäftige mich damit, weil eMail, Internet und vor allem das sogenannte "simsen" die Sprache zu verderben droht. Nach 50 aktiven Jahren im Journalismus und vor allem weil sich die journalistische Landschaft so dramatisch verändert hat, daß ich mich dort nicht mehr zuhause fühle, wollte ich was ganz anderes machen. Theater und Film haben mich immer fasziniert. Einiges durfte ich auch tatsächlich mitgestalten. So war ich z.B. historischer Berater bei dem ARD-Zweiteiler von Oliver Storz "Schatten der Macht", da geht es um Willy Brandts Rücktritt, über den ich auch ein Buch geschrieben hatte. Und ich war Dramaturgie-Assistent bei Jürgen Flimm, als der in Bayreuth den "Ring" inszenierte. Ich möchte keine Deutschstunde veranstalten.
Außerdem habe ich mich zu meinem persönlichen Wohlbefinden, der Engländer nennt das "sense of achievement", für das Schreiben einer Kolumne entschieden. Ich beschäftige mich dort mit der deutschen Sprache, ohne den Anspruch, als Experte aufzutreten. Ich möchte auch keine Deutschstunde veranstalten oder pädagogisch wirken. Meine Kolumne soll unterhalten und sozusagen kabarettistisch die Menschen dazu bringen, ihre eigenen Fehler zu entdecken und darüber zu schmunzeln."

Herr Schreiber, was verbinden Sie mit St. Pauli?
"Ich kenne St. Pauli vor allem aus dem St.- Pauli-Theater, das nicht nur das älteste – und manche sagen: schönste – Theater Hamburgs ist, sondern in der Hamburger Theater-Szene auch heute eine immer wichtigere Rolle spielt. Als Medienmensch ist mir aber schon bewußt, daß St. Pauli nicht nur das ist, was die Boulevardpresse darüber berichtet. Ich weiß, daß dort auch ganz normale, friedliche Menschen leben."

Ein Blick auf die Uhr verrät uns, daß wir – inklusive Verspätung – die Zeit von Herrn Schreiber bereits überstrapaziert haben. Also nutzen wir den passenden Schlußsatz, um uns entsprechend zu bedanken und uns zu verabschieden.

Patrick und ich fliehen geradezu in das Postleitzahlengebiet "20357, 20359, 22767".

Ein Tag außerhalb ist mir viel zu aufregend!

2 Kommentare:

Mina hat gesagt…

ich warte auf die nachverfilmung ;)

Anonym hat gesagt…

danke! Wir auch :-)