Essen mit: Estuar, das sind David, Jochen, Jakob, Felix und die göttliche Helena
Bilder: Olaf Deharde
Interview: Kerstin Schreier
Gericht: Bouillabaisse von dreierlei Fisch mit Garnelenzauber. Dazu zartes Helenenbrot im Dialog mit gesalzener Zitronenbutter. Als Sünde danach serviert die Band feiste Feigen in Tobleronecreme. Dazu diverse, süffige Weisweine (wir bevorzugen Grünen Veltiner). Gespült wird mit Mirabellenschnaps.
Zutaten: Dorade, Lachs, Rotbarsch, Garnelen, Möhren, Sellerie, Frühlingszwiebeln, normale Zwiebeln, Petersilienwurzel, Fischgewürzmischung von Wagner (wichtig: Wacholder, Piment, Nelken, Lorbeer), Safran, Ingwer, Petersilie und Koriander frisch gehackt, Salz und Pfeffer zum abschmecken. Außerdem Weißbrot, gesalzene Butter und spanische Bio-Zitronen. Das Dessert braucht Toblerone, Sahne und saftige Feigen.
Es ist soweit: wir treffen Estuar, eine St. Paulitreue Band. Der Fotograf und das Mädchen durchstreifen Hamburgs Gassen und wittern jenes nächtliche Knistern, das grandiose Begegnungen erahnen lässt.
Los geht’s, die Tür öffnet sich, die lang ersehnte Helena bittet uns in ihr Reich und entwaffnet uns mit Piratenbrauthumor und einer kuscheligen Mädchenwohnung, in der sich ihre vier Bandlümmel wohler fühlen als bei Muttern.
Was gibt es heute zu essen? „Bouillabaisse nach Yggdrasil-Art“, sagt Band-Koch David (Gitarre/Gesang) Aha, und für wen kochst Du am liebsten? „Für mich. Oder für Frauen. Für Menschen, die ich beeindrucken will.“ Na denn, lass mal was sehen! Der Sellerie, die Kräuter, Zwiebeln und der Ingwer zerkleinern sich wie von selbst, während David die Fische scharf anbrät (Garnelen bitte immer extra!). Aus allem wird, mir nix dir nix, ein duftender Sud bereitet und die Stimmung steigert sich im Minutentakt. Der Grüne Veltiner lenkt merklich vom Sinn unseres Besuches ab, doch wir reißen uns am Riemen. Was will eure Musik? Helena, David und Jochen im Wechsel: „Gut tun. Da sein. Gänsehaut. Freude und Verwirrung. Welt hinter der Welt. Verstören und Öffnen. Verwickeln. Verbinden.“ Währenddessen blubbert das elysische Süppchen und verlangt nach seinen Kräutern und Gewürzen. Der Tisch deckt sich wie von Zauberhand und wir sind uns einig: hier kriegt uns so schnell keiner raus!
Was bedeutet eigentlich euer Bandname „Estuar“? Helena: „Tatsächlich ist Estuar ein deutsches Wort (lat. Aestuarium). Ein Estuar ist ein Mündungsdelta, wo Süß -und Salzwasser zusammenfließen, der Arizona verfügt zum Beispiel über so ein Mündungsdelta oder auch die Elbe. Fauna und Flora eines Mündungsdeltas sind besonders facettenreich. An seinen Ufern finden sich ganz besondere, aber auch eigenartige Gewächse. Unser Bandname kommt von David, er studiert nicht nur Mineralogie, sondern ist auch Schöpfer der Band, da er uns zusammengesammelt hat.“ David platziert seine Bouillabaisse auf dem Weltkarten-Tisch und ergänzt: „Ich wollte schon immer Musik machen und ging mit dem sicheren Gefühl nach Hamburg‚ hier findest du deine Band’. So war es dann auch. Wir haben uns 2003 als Trio gegründet und vor zwei Jahren durch Bass und
Schlagzeug vervollständigt.“
Helena, was machst Du, wenn keine Musik? „Schlafen, baden und träumen.“ Oh fein, von was denn? „Von der Welt hinter der Welt.“ Das war die richtige Antwort. Und seit wann singst Du? „Ich habe immer gerne gesungen, getanzt und musiziert. Angefangen habe ich als kleines Mädchen mit Blockflöte, mit 12 kam Klavier dazu und mit 16 Gesang.“
Wir fallen über die dampfende Bouillabaisse her und löffeln unverschämt gierig etliche Teller in unsere beschwipsten Mägen. Ein Wohlgefühl breitet sich bis in die Fingerspitzen aus, lässt die Augen glänzen und unsere Mundwinkel ekstatisch zucken.
Welche Pläne hat Estuar für 2008? „Rockstars werden, berühmt und geliebt sein, Musikpenetration und definitiv Festivals abgrasen.“ Da sind sich alle einig. Auch Jakob (Gitarre), der Disharmonie nur bedingt erträgt, meint: „Auf jeden Fall weitermachen!“
Was war der schlimmste Tag der Band? Helena: „Als Jochen mal nicht kam.“ Die Band lacht. Helena und Jochen waren nämlich mal ein Paar. Das ging irgendwann in die Hose, Musikmachen können sie trotzdem noch, spannende Dissonanzen einkalkuliert. „Wie jetzt,“ denken Olaf und ich und stellen schnell die nächste Frage. Wo feiert ihr in Hamburg am besten? Jakob: „Ab jetzt zu Hause und nicht mehr in Bars, mich stört das Rauchverbot.“ Jochen trauert zwar immer noch um den Mojo, weiß aber die Gelegenheit für Schleichwerbung zu nutzen: „Eine echte Alternative ist das Pooka auf dem Hamburger Berg!“ Aber damit lässt sich Helena nicht trösten, sie vermisst die Weltbühne.
Ich vergehe mich an den Resten der Zitronenbutter und träume von Einbalsamierung. Was macht eigentlich glücklich? „Authentizität. Und nun hörst du auf zu schreiben,“ bestimmt Helena und ich danke es ihr sehr. Die letzten Garnelen werden genossen, dann knobeln wir, wer den Schnaps holen muss. Felix muss raus, Olaf sowieso.
Mir ist heiß. Liegt es am Grünen Veltiner, an Helena zu meiner Rechten, an der Überdosis Bouillabaisse oder an der Gruppendynamik? Ich wünschte, der junge Mann mit dem Schnaps könnte mich endlich aus meiner Schale pulen. Das Dessert wird zum Porno (Nachmachen empfohlen) und alle sind glücklich. Danke, Estuar, das war Schlaraffenland!
Nachwort der Redaktion: der Rest des Abends verlief nicht jugendfrei. Etliche Flaschen Mirabellenschnaps fielen der Nacht zum Opfer, Olaf klagt über Katerplage, Schürfwunden und Brandblasen, mit fraglicher Herkunft. Kerstin erwägt die Scheidung. Der Fortbestand der Band wurde hoffentlich nicht in Mitleidenschaft gezogen, alldieweil wir das musikalische Schaffen für überirdisch wertvoll befinden.
Estuar spielen übrigens am 22. Februar ab 20:00 Uhr im Goldbekhaus. Vorhören unter
www.myspace.com/estuarmusic
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