Was Weihnachten mit dem Nachtleben macht
von Dagmar
Weihnachten geht an niemandem spurlos vorbei.
Auch nicht auf St. Pauli.
Die jungen hippen Paare mit Kind hängen sich frisch gepflückte Bio-Äpfel und Bienenwachskerzen an ihren altbaudeckenhohen Christbaum. Die Alten, die schon immer hier wohnen, setzen auf Kitsch. Blink-blink macht's aus allen möglichen Fenstern und noch die letzte Spelunke ist weihnachtlich aufgerüscht. Aber was macht Weihnachten mit dem Nachtleben? Bei den meisten erhöht das bevorstehende Großevent neben der Kauflust vor allem den Alkoholkonsum.
So auch bei mir und meinen besten Freunden "Gin" und "Tonic", mit denen ich mich eines vorweihnachtlichen Abends auf die Suche nach dem Glück mache. Im Kühlschrank ist mal wieder nichts, was man noch essen möchte.
Also gehen wir zuerst ins Man Wah, um uns für die Schlacht zu stärken. Das Lokal ist ein altes China-Restaurant, wo man original-chinesische Speisen wie Rinderblättermagen und Hühnerfußsalat essen kann. Außerdem leckere Dim Sum und süß saure Pekingsuppe – unsere Wahl, wie immer.
Der Laden am Spielbudenplatz hat sich kürzlich ein loungiges Ambiente zugelegt, der alte China-Schick musste leider weichen. Wir finden das schade, aber Essen und Bedienung haben sich nicht verändert, also bleiben wir unserem Stammrestaurant treu. Zu den dampfenden Köstlichkeiten trinken wir Tsing Tao und kommen langsam in Stimmung. Am leckersten finde ich die mit süß gewürztem Fleisch gefüllten Dampfbrötchen.
"Gin" fängt an, sein Chinesisch an der mit langen, kunstvoll bemalten Fingernägeln ausgestatteten Kellnerin auszuprobieren, die höflich, aber verständnislos aus der Wäsche guckt und uns dann die Rechnung bringt. Naja, gehen wir halt weiter.
Der St. Pauli Weihnachtsmarkt lässt uns kalt. Nur ganz kurz überlegen wir, ob wir uns die Wahl des schönsten Busens des Kiez im Zelt anschauen sollen – machen wir aber nicht. Wir wollen Rock'n'Roll!
Echten gibt’s im "20 Flight Rock", einer Rockabilly Bar am Rande des Hans Albers Platzes.
Wir bestellen Gin und Tonic und haben Spaß mit Mike, dem Besitzer, der aussieht wie Slim Jim Phantom und seinen Freundinnen, die den 50er-Rockabella-Style in Reinkultur verkörpern. Betty Page-Frisuren, rote Lippen und hochgeschnallte Titten in engen Teilen im Leo- Look. Ein paar Tattoos am rechten Fleck und fertig ist der Lack.
Wir schieben unsere Ärsche auf die winzige Tanzfläche und tanzen den "Stray Cat Strut". Retro ist geil und von Weihnachten im "20 Flight" keine Spur. Der Gin packt uns in Watte und wir freuen uns – wie jedes Mal – daß es den Laden gibt. Doch genug davon, wir brauchen mehr Rock und weniger Roll.
Nebenan, in der Kobra Bar begrüßt uns der Gesichtstätowierte, der netter ist, als er aussieht. Mit einem frischen G&T ausgestattet drängen wir uns durch die – hier vorwiegend in Dark-Denim gehüllte – Menge gen Dancefloor. Auf den DJ ist Verlass, "Smells like Teen Spirtit" spielt er immer und wir schütteln unser Haar. Es ist eng, es ist heiß und es wird gepoged, als hätte Kurt sich nie den Lauf der Schrotflinte in den Rachen geschoben. Der G&T war schneller leer als erwartet, "Tonic" holt schnell neuen. Am Kicker stehen sie Schlange und das Christkind treffen wir hier auch nicht. Die Unrast treibt uns weiter auf den Hamburger Berg.
Runter über den Hans Albers Platz, quer durch pöbelnde, stark betrunkene Halbwüchsige und aggressiv zurückschimpfende Nutten, die in der Kälte von einem Bein aufs andere hüpfen. Wir sind froh, als wir die Reeperbahn überquert haben und endlich den Hamburger Berg erreichen.
Unser Ziel ist das gute alte Lunacy, auch eher rockig. Umso erstaunter sind wir, als wir die liebevoll hindekorierten Holzengel und den bunten Flitter im Fenster der Kneipe sehen. Schnell bestellen wir mehr G&T. In dem schlauchigen Lokal ist es brechend voll und die Gäste sind es auch.
Tanzen ist nicht mehr. Stattdessen versuche ich, den beim Reden bereits spuckenden Kerlen auszuweichen und lande schließlich allein auf der Straße.
Heim will ich noch nicht, hell wird's im Winter ja erst gegen acht. Auf den Straßen ist noch was los und ich werde von den Passanten Richtung Große Freiheit mitgerissen. Ich frage mich, was der passende Abschluss für den vorweihnachtlichen Ausritt sein kann und dann stehe ich vor ihr – der "Thai Oase" ganz am Ende der Großen Freiheit.
Drin stinkt es nach Pisse und Schlimmerem, alle Gäste scheinen zu Junggesellen-, bzw. Gesellinnen-Abschieden zu gehören, das ist hier immer so. Wer heiratet bloß an Weihnachten? Auf der Bühne schmettert Tina "Only You". Gar nicht mal so schlecht. Ich frage sie, ob sie Lust auf ein Duett hat, sie stimmt begeistert zu. Ich will Weihnachten, sie Johnny Cash, also singen wir Jackson und dann Jingle Bells, bis die Menge uns mit ihren Drinks bewirft und ich nach Hause gehe.
Mit G&T im Blut und Weihnachten im Herzen.
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