Präsentationen unserer Partner

Freitag

Makrelendiskurs - Liest du noch oder hörst du schon? - 2. Ausgabe


von Sonja Berger

Lesen tut man an sich meist allein, auf dem Sofa oder im Bett. Manche Menschen sind aber
auch Hörbuchfanatiker und verbringen ganze Abende mit Hör-CDs von "Harry Potter" Teil I-VII oder den "drei ???" und räumen zeitgleich die Bude auf oder ähnliches.
Man kann aber auch mit ganz vielen fremden Menschen irgendwo zusammensitzen und sich
live vorlesen lassen – das nennt man Lesung – und so etwas kann man zum Beispiel im Pudel
Salon besuchen. Eine modernere und eventhaftere Variante der Lesung ist ein Poetry Slam.
Zu deutsch: Dichterwettstreit. Jeder kann sich mit einem eigenen Text für den Slam anmelden
und hat während der Veranstaltung etwa 5 Minuten um sich mit Vortrag und Performance vor gut 200 Leuten bis auf die Knochen zu blamieren oder feiern zu lassen. Für diese aus den USA stammende Abendbeschäftigung gibt es ein ausgefeiltes Regelwerk für die Bewertung von Text und Vortragsweise der mutigen Teilnehmer durch Publikum und Jury und alles soll sehr lustig sein, sagt meine Freundin
Silvija. Sie hat mich dann auch mitgenommen ins Molotow zu meinem ersten Poetry Slam, den
gibt es da einmal im Monat. Aber irgendwie war das dann nicht so lustig. Im Molotow ist man nämlich drauf gekommen, daß mehr Leute auch mehr Geld einbringen und noch mehr Leute, noch mehr Geld. Klingt gut?
Ist für den Besucher aber keine Freude. Die Schlange reichte vom Molotow-eingang bis vor das Panoptikum. Muß ich mehr sagen? Wer das Molotow kennt, ahnt die Ausmaße. Drin war schnell klar, der Donald Duck Stempel auf der Hand war seine 3,50 nicht wert. Für Menschen
unter 1,78 ist die Veranstaltung generell nicht zu empfehlen bei dem Andrang und die Lüftung macht ihren eigenen Slam, weniger poetisch, aber effektiver als der Mensch am Mikrophon.
Wobei ich auch das nicht beurteilen kann, da ich nur drei Worte deutlich verstanden habe: Schwangerschaft, Unlust, Ehefrau. *ich möchte mich an dieser Stelle weiterer Kommentare enthalten*
Besser war eindeutig in der Woche davor Jens Raschke mit seiner Lesung: "Disco Extravaganza feat. Sitzdisco!" im Pudelsalon.
Da bin ich ehrlich gesagt ganz zufällig gelandet und es war richtig gutes Ambiente für eine
Lesung. Ein schöner, großer Holztisch, eine urige Schreibtischlampe und ein sehr präsenter Autor, der vor einem wundervollen Hafenpanorama saß. Alles durchfenstert auf der Seite
nämlich. Nicht immer da, aber an diesem Abend sehr schön anzusehen, ein voll beleuchtetes Kreuzfahrtschiff als Kulisse für den Lesenden.
Von der Lesung konnte ich leider nur eine Sequenz verfolgen – da mein Begleiter weiter wollte – und ich habe definitiv zu wenig gehört, aber es war sehr unterhaltsam. Es ging um einen jungen Schweden, der am Computer zu Hause schlechte Iron Maiden Covers einsingt und als Anton Maiden Karriere macht bis er von den echten Fans kaputt gehaßt wird. Der Autor hatte auch einen besungenen Tonträger von dem angeblichen Anton Maiden auf Band dabei. Grausam. "Da geh ich wieder hin", dachte ich zum Abschied.
Ein paar Tage später google ich den Pudel Salon und Raschke und bin doch wirklich erstaunt. Da steht: „Was haben Captain Kirk, eine Lady aus Hongkong, Amerikas erster Hippie, Miss St. Louis 1926, der Gründer der Satanskirche, ein israelischer Gabelbieger und eine Horde kanadischer Schulkinder gemeinsam? - Sie alle haben mindestens einmal in ihrem Leben einen Tonträger aufgenommen, der fernab von allem liegt, was der durchschnittliche Konsument für gewöhnlich unter dem Begriff "Musik" versteht. … Der Soundforscher Jens Raschke hat die kuriosesten Aufnahmen der Musikgeschichte zusammengetragen und mit den nicht minder ungewöhnlichen Biografien ihrer Macherinnen und Macher garniert.“
Öhm, das war alles echt? Alter Schwede! Andächtiges Schweigen.
Wer jetzt Lust bekommen hat, sich vorlesen zu lassen und dabei Wert auf gute Akustik, freie Sicht sowie Beinfreiheit, statt versperrten Notausgängen, legt, ist im Pudel richtig. Meine Empfehlung ans Molotow und die Veranstalter des Poetry Slam ist: lieber weniger Publikum einlassen und dafür einen Slam mehr im Monat veranstalten.

Keine Kommentare: