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Interview mit Elisabeth von Dücker zum Thema Sexarbeit

Sex ist allgegenwärtig: eine tägliche Überdosis glamouröser Erotik der Werbespots, Modeplakate und Printmedien, des Internets und des Fernsehens. Aber wie sieht es eigentlich in der Arbeitswelt der Sexindustrie aus? Wie erleben Menschen aus dem Rotlicht-Milieu ihren Arbeitsalltag? Wie lebt und arbeitet es sich in einer Dienstleistungswelt zwischen Stigmatisierung und Luxus, zwischen Doppelmoral und Gewalt, zwischen Liebesspiel und Tabu?

Die Kunst- und Kulturwissenschaftlerin Dr. Elisabeth von Dücker, Kustodin im Hamburger Museum der Arbeit (bis 2007), schaute anlässlich der Ausstellung „Sexarbeit. Prostitution – Alltagswelten und Mythen“ mit ihren Kolleginnen hinter die Kulissen der schillernden Hamburger Reeperbahn. Sie sprachen mit Prostituierten und Freiern, mit Zuhältern, Bordellbesitzern und Polizisten in ganz Deutschland. Aus diesen unverfälschten (HIER EHER: authentischen)„Erzählstücken aus erster Hand“ entstand Ende 2008 das Buch SEXARBEIT – EINE WELT FÜR SICH [Edition Freitag]. Und um diese Gespräche für das Publikum noch unmittelbarer und eindringlicher erlebbar zu machen, hat Elisabeth aus dem Buch ein Drehbuch für eine szenische Lesung entwickelt. Diese findet am 18. Februar um 18 Uhr im Schulmuseum, Seilerstr. 42 in Hamburg-St. Pauli, statt.

Makrele: Wie kam es überhaupt zu dem Thema Sexarbeit und zu der Ausstellung?

Elisabeth: „Prostitution gehört zu unserer Gesellschaftsform wie das Amen in der Kirche“, schreibt der Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch. Da es dem „Museum der Arbeit“ um die Darstellung der verschiedenen Arbeitswelten von Männern und Frauen geht, liegt das Thema in Hamburg quasi auf der Straße. Nach aktuellen Schätzungen des Landeskriminalamts werden allein in Hamburg pro Tag eine halbe Million Euro Umsatz in der Sexbranche gemacht und täglich 10.000 Freier nehmen hier sexuelle Dienstleistungen in Anspruch. Besonders durch die Einführung des Prostitutionsgesetzes im Jahr 2002 und die einhergehende Anerkennung von Prostitution als Erwerbarbeit, wurde das Thema für das Museum aktuell. Dabei interessierte uns vor allem: Was ist eigentlich Arbeit in der Prostitution? Wie ist die Wertung von bestimmten Tätigkeiten als Arbeit? Wie sieht diese Arbeit in der Gegenwart aus?
Die Ausstellung (11.2005-08.2006) sollte weniger einen weitzurückreichenden historischen Kontext umfassen, als vielmehr von heute aus einen Rückblick bis zur Industrialisierung in Hamburg ermöglichen. Es sollten Räume geschaffen werden, in denen eine informativ-wissenschaftliche und ästhetische Begegnung mit Sexarbeit ohne moralischen Zeigefinger möglich ist. Eine authentische Betrachtung, die mit Mythen und Vorurteilen aufräumen und die ohne Glamour und Stigmatisierung auskommen sollte. Im Zentrum stand die erwachsene Prostituierte (oder Stricher): kein Opfer, sondern eine Person, die aktiv handelt und sich eigenständig für diese Arbeit entscheidet. Der Diskurs über Prostitution geht immer mit dem Diskurs über Ausbeutung, Gewalt und Zwang (z. B. Menschenhandel, Kindesprostitution) einher – das kann man natürlich unmöglich ausblenden und wir hatten dies auch in der Ausstellung berücksichtigt, aber der Schwerpunkt lag auf dem Thema Sex als selbständige, freiwillige Erwerbsarbeit.

Makrele: Was zeichnet Sexarbeit aus?

Elisabeth: Seit den 70ern fordert die Hurenbewegung die Gleichbewertung von Sexarbeit und anderen Berufen. Prostituierte arbeiten in einem tabuisierten „Schäm- oder Schmuddelbereich“, werden dadurch stigmatisiert und sozial ausgegliedert. Im Grunde sind Sexarbeiter jedoch so etwas wie professionelle „SozialarbeiterInnen der Libido“ (Selbstbezeichnung der französischen Prostituierten), zumal es nicht selten nicht nur um den reinen Geschlechtsakt geht, sondern Zuhören, Einfühlen und Kommunikationsfähigkeit sehr wichtig sind. Prostituierte müssen über viele soziale Kompetenzen verfügen, die aber oft leider weder von ihnen noch von der Außenwelt als besondere Berufsqualifikationen wahrgenommen werden. Dabei bilden Sexarbeiter keineswegs eine homogene Gruppe, sondern es sind Frauen und Männer, deren Alter, Schul- und Berufsausbildung, Herkunft und Lebenssituation stark variiert. Es gibt auch nicht Prostituierte per se: die meisten gehen diesem Beruf nur eine begrenzte Zeit nach oder nutzen ihn als Teil- oder Nebenjob. Die Hälfte aller Prostituierten haben Kinder, aber oft keinen festen Partner; ökonomische Gründe sind die Hauptmotivation für Prostitution. Dabei stimmt das Klischee vom schnellen, leicht verdienten Geld nicht: die wenigsten verdienen überdurchschnittlich, dazu kommen die hohe Gewaltrate und die extreme psychische Belastung, die für viele die Gründe für einen Berufsausstieg sind. Es ist eben „eine Welt für sich“ – wie schon der Untertitel des Buches verrät.

Makrele: Worum geht es in dem Buch?

Elisabeth: Es ging uns darum, einen anderen, vorurteilsfreien Blick auf Prostitution zu konstituieren. Wir hatten bereits für die Ausstellung Gespräche mit Prostituierten und Strichern geführt, um den Menschen der Sexbranche eine Stimme zu ermöglichen und diese öffentlich wahrnehmbar zu machen. Sie sind Handelnde, Zeitzeugen, die eine relevante historische Quelle darstellen: wertvolle ExpertInnen auf dem Gebiet der zeitgenössischen Sexarbeit. Wichtig war für die Interviewten ein geschützter Raum, in dem sie Vertrauen zum Gesprächspartner aufbauen können. Oft wurden dann aus einer halben Stunde zwei Stunden. Besonders die Hamburger „Kaffeeklappe“, eine Beratungseinrichtung für Sexarbeitende, war für uns eine sehr hilfreiche Vermittlungsstelle von Interviewpartnern. So ist zum Beispiel auch das Gespräch mit Ayscha entstanden – eine muslimische Prostituierte mit türkischem Migrationshintergrund.
Unsere Arbeitsgruppe führte nach Ausstellungsbeginn weiterhin Interviews durch – nicht nur mit Sexarbeitern, sondern auch mit anderen Akteuren aus dem Milieu. Diese Innenperspektive wollten wir einem größeren Publikum zugänglich machen – eben als Buch. Die Authentizität der Gespräche steht dabei im Vordergrund; zwar haben wir für einen entsprechenden Rahmen mit relevanten Informationen, Untersuchungen und Statistiken gesorgt, aber die „Erzählstücke“ stehen unkommentiert und unverfälscht für sich selbst.

Makrele: Wie kam es dann zu den szenischen Lesungen?

Elisabeth: Wir wollten die Auseinandersetzung mit Sexarbeit nicht nur als Lektüre ermöglichen, sondern vor allem einen verbalen, öffentlichen Diskurs anregen. Auch bei Museumsarbeit geht es immer um einen Dialog. Die Lesungen beginnen mit einigen einleitenden Worten, es wird ein kurzer, informativer Vortrag gehalten und dann werden Auszüge aus den Gesprächen von Schauspielern vorgetragen. Danach gibt es eine Diskussionsrunde mit dem Publikum, die bisher sehr rege genutzt wurde. Im Anschluss an die Veranstaltung können interessierte Gäste die Möglichkeit für weiterführende Gespräche nutzen.


Das Interview führte Henrike Rohloff am 11.02.2009 in der „Makrele“ in Hamburg.


Termine der szenischen Lesung:
13. Februar ver.di center, Besenbinderhof 56, HH : 18 Uhr
18. Februar Schulmuseum, Seilerstr. 42, HH : 18 Uhr
2. Juni Hydra e.V, Berlin, Zwölf-Apostel-Kirche, Kurfürstenstraße

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